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„Sojaschnitzel“ und „Hafermilch“: Streit um vegane Produktnamen
6 min 2025-10-17

Der Streit um vegane Produktnamen

Der Markt für vegane Ersatzprodukte wächst. Gleichzeitig fordern scheinbar immer mehr, dass Begriffe wie „Milch“, „Steak“ und „Butter“ nur für tierische Produkte verwendet werden dürfen. Dabei scheint es selektiv, nur bei neuartigen Replikas Kritik zu geben, da etwa Kokosmilch und Erdnussbutter von der Debatte ausgenommen zu sein scheinen. Warum also dieser Eifer gerade bei veganen Alternativen?

Dieser Artikel greift die rechtliche und linguistische Historie auf, wie die Begriffe verwendet und definiert wurden. Zeigt auf, ob es sich um eine zivilgesellschaftliche oder konzerngetriebene Bewegung aufgrund wegbrechender Umsätze handelt. Und ob das Argument des „Verbraucherschutzes” tatsächlich zieht.

Überblick

Bereits 1987 wurden Begriffe wie „Milch”, „Käse” oder „Joghurt” durch die EU-Verordnung 1898/87 geschützt. [Q1] Dort heißt es explizit: „Die Bezeichnung ‚Milch‘ ist ausschließlich dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug, vorbehalten.“ Bis um das Jahr 2010 gab es jedoch kaum Alternativprodukte, gegen die vorgegangen werden hätte können.

Das erste bekannte Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) folgte 2017 gegen die TofuTown.com GmbH und geht auf eine Klage des Verbands Sozialer Wettbewerb e. V. zurück. [Q2] Es lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Wie seit 1987 geregelt, dürfen rein pflanzliche Produkte nicht unter Bezeichnungen wie „Milch“, „Käse“, „Butter“, „Joghurt“ usw. vermarktet oder beworben werden. (vgl. Randnr. 52)
  • Sogar Zusätze oder Klarstellungen wie „Soja-Milch“, „Tofu-Butter“ oder „Pflanzenkäse“ ändern daran nichts, selbst wenn sie den pflanzlichen Ursprung eindeutig kennzeichnen. (vgl. Randnr. 40 f.)
  • Von dem Verbot ausgenommen wurde eine Liste von Produkten in unterschiedlichen Sprachen, die von der EU erstellt wurde. [Q3] Im Deutschen sind darunter beispielsweise „Erdnussbutter”, „Kokosmilch” und „Rahmapfel”. (vgl. Randnr. 33–35)

Am 8. Oktober 2025 stimmte das Europäische Parlament dafür, ein Gesetzgebungsverfahren anzustoßen, das die Bezeichnungen „Steak”, „Wurst” und „Burger” ausschließlich tierischen Erzeugnissen vorbehalten soll. [Q4] Das löste die wohl größte Debatte zu dem Thema aus, da sich mittlerweile der Anteil an Veganern und pflanzlichen Replikaprodukten um ein Vielfaches erhöht hat.

1. Sprache ist kein Labor, sondern ein Spiegel des Gebrauchs

Wörter entstehen nicht durch Verordnungen, sondern durch Gewohnheiten. Das Wort „Milch“ stammt aus dem Althochdeutschen miluh, was sinngemäß „weißliche, milchige Flüssigkeit“ bedeutet – eine Beschreibung der Konsistenz, nicht des Ursprungs.
In dieser Logik ist es völlig sprachkonform, auch eine pflanzliche Flüssigkeit „Milch“ zu nennen. Schließlich sprechen wir auch von:

  • Kokosmilch – obwohl keine Kuh, Ziege oder Mandel beteiligt ist.
  • Bienenstich – ohne tatsächliche Insekten oder Schmerzen.
  • Jägerschnitzel – meist paniertes Schweineschnitzel oder Fleischersatz, kein Gericht für Jäger.
  • Leberkäse – enthält in der Regel weder Leber noch Käse.
  • Fischstäbchen – selten in Stäbchenform vorkommende Fische.
  • Erdnussbutter – frei von Butter.
  • Hackbraten – kein „Braten“ im ursprünglichen Sinn (gebratenes Fleischstück).

Wenn also die EU-Kommission verlangt, dass „Milch“ nur aus dem Euter eines Tieres stammen darf, dann widerspricht das dem historischen und praktischen Sprachgebrauch.

2. Selektive Empörung: Warum nur pflanzliche Produkte betroffen sind

Das Argument, Begriffe wie „Sojamilch“ oder „Veggie-Schnitzel“ könnten Konsumenten „verwirren“, hält einer logischen Prüfung kaum stand.
Kein Mensch erwartet, dass Bienenstich tatsächlich Bienen enthält oder Leberkäse ein Molkereiprodukt ist. Sprache lebt von Metaphern und Übertragungen – und Konsumenten sind sprachlich kompetent genug, das zu verstehen.

Die EU-Verordnung wirkt daher selektiv: Sie trifft ausschließlich Produkte, die als Ersatz für Tierprodukte dienen, also genau jene, die eine nachhaltigere und ethisch reflektierte Ernährung fördern.
Das wirft die Frage auf, ob es hier wirklich um Verbraucherschutz geht – oder um den Schutz etablierter Branchen.

3. Sprachwissenschaftliche Einordnung

Linguistisch gesehen bezeichnet „Milch“ heute zwei Ebenen:

  1. Die biologische Definition – die nährstoffreiche Sekretion von Säugetieren.
  2. Die alltagssprachliche Definition – eine weiße, trinkbare Flüssigkeit mit milchartiger Konsistenz.

Beide Verwendungen existieren nebeneinander, und beide sind korrekt – je nach Kontext.
Das gleiche Phänomen nennt man Polysemie (Mehrdeutigkeit eines Wortes). Sprache funktioniert ständig mit solchen Überlagerungen – man denke an „Tischbein“, „Datenwolke“ oder „Bücherwurm“.

Das Verbot pflanzlicher „Milch“ wäre daher linguistisch so sinnvoll, wie „Apfelmus“ zu verbieten, weil kein Apfel „musen“ kann.

4. Fazit: Sprachpolitik statt Klarheit

Die EU-Verordnung zur Bezeichnung pflanzlicher Produkte wirkt weniger wie Verbraucherschutz, sondern wie Wortpolitik zugunsten traditioneller Märkte.
Während wir jahrzehntelang problemlos „Kokosmilch“ und „Leberkäse“ sagten, wird bei „Sojamilch“ plötzlich ein Aufschrei inszeniert. Das ist nicht konsistent, nicht logisch und schon gar nicht sprachhistorisch begründbar.

Die Sprache der Menschen war immer kreativer als ihre Gesetze. Und sie wird sich auch weiterhin durchsetzen – ganz gleich, wie viele Verordnungen versuchen, Wörter zu zähmen.

Mitwirkende
Clarify Wiki Author: Jorit Vásconez Gerlach Jorit Vásconez Gerlach
Selbst Mitwirken
Themen
Veganismus
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Diese Seite wurde zuletzt am 17. Oktober 2025 um 12:27 Uhr bearbeitet.