Gibt es einen Linksfaschismus?
In diesem Text wird analysiert, ob der Begriff ‚Linksfaschismus‘ eine reale Existenzberechtigung hat. Die Analyse beruft sich auf die historische Verwendung sowie auf aktuelle politikwissenschaftliche Definitionen.
Verwendung des Begriffs
Historische Herkunft
Der Ursprung des Begriffs lässt sich auf die SPD und die KPD zurückführen. Nachdem Karl Radek am 21. Juni 1923 auf einer kommunistischen Sitzung in einer berühmten Rede, „Der Wanderer ins Nichts“, den antibolschewistischen Freikorpskämpfer und NSDAP-Mitglied Albert Leo Schlageter würdigte. Schlageter war zuvor wegen Sabotage gegen die Ruhrbesetzung – während Frankreich und Belgien Teile Deutschlands besetzt hielten, da Reparationszahlungen aus dem Versailler Vertrag nicht schnell genug geleistet wurden – zum Tode verurteilt worden. [Q1: Seite 45]
In dieser Rede spricht Radek über das NSDAP-Mitglied als „mutigen Soldaten der Konterrevolution“ [Q2] und fordert, dass er „männlich-ehrlich gewürdigt“ von Kommunisten anerkannt werden müsse. [Q3]
Dies sah die SPD-nahe Zeitschrift Vorwärts Nr. 358 vom 02.08.1923 als Bestätigung, dass „Kommunisten und Faschisten sich offen in die Hände arbeiten“. [Q4: Seite 178] [Q5]
Weiter heißt es, dass daraufhin auch der linke Flügel der SPD der KPD vorwarf, durch ihre Taktik Nationalisten anzusprechen und somit der faschistischen Diktatur Vorschub zu leisten.
Im Juni 1924 hieß es auf dem Parteitag der SPD in Berlin durch Artur Crispien: „Der Bolschewismus endet im Faschismus. [...]“. [Q6: Seite 178]
Nahezu zeitgleich entwickelte sich vor allem im Bezug auf die deutsche Sozialdemokratie durch Georgi Sinowjew die „Sozialfaschismus“-Theorie. [Q7: Seite 178] So findet sich im Protokoll des 5. Kongresses der Kommunistischen Internationalen der Aufruf zum „Gedenken der tausenden deutscher Arbeiter, die mit Hilfe der faschistischen Sozialdemokratie gefangengesetzt worden“. [Q8: Seite 4] Später wird der Begriff auch auf weiteren Plenen der Kommunistischen Internationalen, wie im Juni 1929, immer wieder verwendet. [Q9]
Verwendung in der Neuzeit
Erstmalig findet sich der Begriff wieder in einer Rede des FDP-Politikers Werner Maihofer am 12. Juni 1975. Mit den Worten „Das ist blanker Linksfaschismus“ [Q8: Spaltenzahl 12459] warb er für einen Gesetzesantrag zum einfacheren Vorgehen gegen „anarchistische Gewalttäter“. [Q9] Dies geschah im Zuge der Entführung von Peter Lorenz durch die Bewegung 2. Juni, welche die Freilassung anderer Linksextremisten forderte.
Nach einer längeren Pause sagte Helmut Kohl (CDU) am 16. Juni 2001: „Kommunisten sind rot-lackierte Faschisten“ bei einer Veranstaltung zur deutschen Geschichte in der Grugahalle in Essen. Gemeint war damit die PDS, Nachfolgepartei der SED und Vorgängerin der heutigen Partei Die Linke. Wer mit ihr kooperiere, mache sich der „Geschichtsvergessenheit“ schuldig. [Q10] Der bekannte Historiker und Professor Heinrich August Winkler sagte dazu später: „Der Vergleich ist zwar wissenschaftlich nicht erhellend und historisch bedenklich, aber moralisch nachvollziehbar. Denn menschenverachtend ist diese Gewalt der sich links nennenden Extremisten allemal.“ [Q11]
Weitere 20 Jahre später ist der Begriff noch weiter rechts außen bei der AfD zu finden, beispielsweise durch Zwischenrufe:
- Mai 2019: Dr. Alexander Gauland (AfD): „Linksfaschismus!“, nachdem eine Abgeordnete der Linken bei der Beantwortung einer Frage aus der AfD zu verstehen gibt, dass sie es „unerträglich“ finde, „dass […] Rechtsradikalismus, diese Thesen […] im Hohen Hause überhaupt zu hören“ seien. [Q12: Spaltenzahl 11768]
- Juli 2024: Dr. Marc Jongen (AfD): „So spricht der Linksfaschismus!“, als ein Politiker der Linken davon spricht, dass gegen die „gegenwärtige faschistische Gefahr in Gestalt der AfD“ vorgegangen werden müsse. [Q13: Spaltenzahl 23483]
- Januar 2025: Bei einer Rede der Linken ruft Stephan Brandner (AfD) nach dem Satz „Wir werden den Faschismus aufhalten – gemeinsam. Und das ist ein Versprechen.“ hinein: „Den Linksfaschismus auch?“ [Q14: Spaltenzahl 27573]
Zudem wird der Begriff in der Neuzeit auch durch Neonazi- und rechtsextreme Aufmärsche geprägt, wie beispielsweise am 7. Oktober 2016 unter dem Titel „Keinen Linksfaschismus in Bautzen“. [Q15]
Ebenfalls Erika Steinbach, die zu diesem Zeitpunkt aus der CDU austrat und sich der AfD annäherte (später auch offiziell in diese eintrat), bezeichnete 2017 die Rede des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche als „Linksfaschismus“. In dieser Rede wurde die Forderung der AfD, eine höhere Geburtenrate unter Einheimischen herbeizuführen, mit dem „kleinen Arierparagrafen der Nationalsozialisten“ verglichen. [Q16]
Zwischenfazit: Verwendung
Festzustellen lässt sich, dass der Begriff wohl den internen Machtkämpfen der Linken, zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten, entspringt. Damals ging es bei gegenseitigen Beschuldigungen darum, den Faschismus zu unterstützen oder herbeizuführen.
Später, zunächst im Kontext des Linksextremismus und später in der DDR, wurde der Vergleich durch CDU und FDP in der Politik wieder aufgegriffen. Seit 2016, mit dem Aufschwung der AfD, gewinnt die Bezeichnung „Linksfaschismus“ wieder an politischer Relevanz.
Definitionsanalyse
Historische Verwendung
Wie bereits erwähnt, diente der Begriff vor 1930 in der Sozialbewegung als gegenseitige Kritik. Verstanden wurde damit vor allem, wer den nationalistischen Faschismus eher billigte oder herbeiführte.
Heutige politische Definitionen
In diesem Abschnitt wird der Begriff als Kompositum bewertet, sprich die Wörter „Links“ und „Faschismus“ werden nach gängigen Definitionen einzeln betrachtet, um dann zu bestimmen, ob die Wortneubildung „Linksfaschismus“ legitim ist oder ein Oxymoron, sprich einen Widerspruch, bildet.
Faschismus
Faschismus kann definiert werden als eine Form des politischen Verhaltens, das gekennzeichnet ist durch eine obsessive Beschäftigung mit Niedergang, Demütigung oder Opferrolle einer Gemeinschaft und durch kompensatorische Kulte der Einheit, Stärke und Reinheit, wobei eine massenbasierte Partei von entschlossenen nationalistischen Aktivisten in unbequemer, aber effektiver Zusammenarbeit mit traditionellen Eliten demokratische Freiheiten aufgibt und mittels einer als erlösend verklärten Gewalt und ohne ethische oder gesetzliche Beschränkungen Ziele der inneren Säuberung und äußeren Expansion verfolgt.
Basiert auf Robert O. Paxton: Anatomie des Faschismus. DVA, München 2006, ISBN 3-421-05913-6, S. 319.
Faschismus ist eine politische Ideologie, deren mythischer Kern in seinen diversen Permutationen eine palingenetische Form von populistischem Ultra-Nationalismus ist.
Aus Roger Griffin: Palingenetischer Ultranationalismus. Die Geburtswehen einer neuen Faschismusdeutung. In: Thomas Schlemmer, Hans Woller (Hrsg.): Der Faschismus in Europa. Wege der Forschung. Oldenbourg, München 2014, ISBN 978-3-486-85906-5, S. 17–34, hier S. 17.
Politische Linke
Strebt nach sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit, betont dabei Individualwerte und Internationalismus.
Basiert auf Heywood, Andrew (2017). Political Ideologies: An Introduction. & Norberto Bobbio (1996).
Fazit: Neuzeit
Nach heutigen Definitionen versteht man unter Faschismus eine Ideologie palingenetischer Art, die also eine Neugeburt der nationalen Gesellschaft anstrebt. Diese wird durch eine Säuberung der Nation hin zu einer „reinen Ethnie“ durchgesetzt.
Unter der politischen Linken wird das Streben nach sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit verstanden, was durchaus in Systemen münden kann, die die Vernichtung von Widerständlern fordern. Die heutige politische Linke fokussiert sich jedoch stärker denn je auf die „internationale Solidarität“. Diese fordert den Zusammenschluss von Arbeiterbewegungen aller Welt über nationale Grenzen hinweg. Dies findet sich bei linksgerichteten Parteien und Organisationen:
- SPD Wahlprogramm 2025 [Q17: Seite 57]: „Internationale Solidarität und die universelle Geltung der Menschenrechte gehören zu den Grundpfeilern der Sozialdemokratie.“
- Die Linke Wahlprogramm 2025 [Q18: Seite 21]: „Wir setzen dagegen auf eine Politik, die internationale Solidarität über Profitinteressen stellt.“
- Die Gewerkschaft Verdi befürwortet auf ihrer Website ebenfalls die internationale Solidarität. [Q19]
- „Hoch die internationale Solidarität“ ist ein häufig skandierter Ruf auf linken Demonstrationen, damals wie heute. [Q20]
- „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ So endete bereits Marx' Kommunistisches Manifest. [Q21]
- Darauf basierend entstand 1871 das Lied „Die Internationale“, ein Aufruf zur internationalen Zusammenarbeit. [Q22]. Die Linke singt dieses Lied zu verschiedenen Zeitpunkten selbst, z. B. 2021 in einem YouTube-Video als Chor [Q23] oder auch 2025 zum Abschluss des Bundesparteitags. [Q24]
Die nationalistische Grundlage, die ein Grundbestandteil des Faschismus darstellt, steht somit konträr zur aktuellen Linken. So stellt „Linksfaschismus“ per Definition einen Widerspruch dar. Bei Verwendung des Begriffs könnte „linker Totalitarismus“ gemeint sein.