Die elementaren Diskursregeln nach Jürgen Habermas
Ein herrschaftsfreier Diskurs bildet für Jürgen Habermas das Zentrum des kommunikativen Handelns. Er beschreibt einen idealen Prozess, in dem alle Beteiligten auf gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren, ganz ohne Machtstrukturen und äußeren Zwang.
Das Ziel liegt dabei auf der Herstellung eines rational argumentierten Konsenses und eines gemeinsamen Verständnisses. Aus seinem Buch 'Theorie des kommunikativen Handelns' (1981) lassen sich folgende zehn elementaren Regeln ableiten:
Die 10. Regeln zum ergebnisreichen Diskurs
1. Gleichheit der Teilnehmenden
Jede am Diskurs teilnehmende Person soll die gleiche Chance haben, sich zu äußern und die Diskussion zu beeinflussen. Niemand darf wegen seiner Machtposition, seines sozialen Status oder anderer Ungleichheiten bevorzugt oder benachteiligt werden.
- Mit Machtposition ist gemeint, wenn eine hierarchische Stellung Einfluss auf die Gewichtung der Argumente hat. Dazu zählen beispielsweise die Diskussionsleitung, Politiker und Experten, sofern diese einen Zwang oder Beeinflussung durch einen autoritären Status erheben.
- Der soziale Status bezieht sich auf die finanzielle Lage (arm und reich) oder den Bildungsstand (schulabbrecher und Akademiker). Argumente gehören ungeachtet dieser Faktoren angehört und gleichermaßen validiert.
- Andere Merkmale sind Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Altersunterschiede. Ungleichheiten können hier beidseitig auftreten, zum einen aufgrund von diskriminierenden Vorurteilen oder stereotypen Vorstellungen, sodass bestimmte Perspektiven nicht gleichwertig in die Diskussion einfließen. Andererseits sollten Argumente nicht einfach aufgrund der diskriminierten Stellung der Person als wertiger betrachtet werden. Während äußere Merkmale Erfahrungen prägen und so starke Argumente zeugen können, so dürfen die Merkmale selbst keinen Einfluss auf die Argumentsgewichtung haben.
2. Verzicht auf Zwang und Manipulation
Die Diskussion muss frei von jeglichem Zwang oder manipulativen Einfluss bleiben. Argumente dürfen nicht durch physische Gewalt, wirtschaftlichen Druck oder sozialen Zwang erzwungen werden. Jeder Einzelne soll seine Beiträge freiwillig und aus rationaler Überzeugung äußern.
3. Rationalität und Begründungspflicht
Angebrachte Argumente müssen rational begründet sein. Sie sollen so formuliert werden, dass sie von allen Teilnehmenden nachvollzogen und verstanden werden können. Vorausgesetzt sind somit die logische Richtigkeit des Arguments und eine auf das Umfeld angepasste, klare Formulierung in der Sprache. Beim Bezug auf Fakten müssen diese überprüfbar und korrekt sein, ideal sollten diese schon vorab zugänglich gemacht werden. Ein „Das ist halt so“, „Das weiß doch jeder“ oder „Informier dich einfach“ ist unzulässig.
4. Prinzip der Universalität
Forderugen müssen immer universell, also allgemeingültig aufgestellt werden. Formulierungen müssen so gestalten sein, dass sie keine individuellen Änderungen angehen sondern Regeln ändern. Gerichtet nach der altbekannten Goldenen Regel 'Was du nicht willst was man dir du, das füg auch keinem anderen zu'. Am besten lässt sich das Anhand von Beispielen Aufzeigen:
Nicht universell: „Ich finde, Steuern sollten gesenkt werden, weil ich dann mehr Geld habe.“ → Persönliches Interesse Universell: „Ich schlage vor, die Steuern für Geringverdiener zu senken, weil das soziale Gerechtigkeit fördert und Armut verringert.“ → Allgemeingültig Regel, selbst bei eigenen Vorteilen
oder
Nicht universell: „Firma X soll eine Steuererleichterung bekommen, um steigende Preise vorzubeugen.“ Universell: „Firmen sollten unter bestimmten Voraussetzungen Steuererleichterung bekommen, um steigende Preise vorzubeugen.“
5. Transparenz und Offenheit
Relevante Informationen müssen offengelegt und die Beweggründe für Argumente klar dargelegt werden. Dazu gehört auch Selbstkritik sowie die Bereitschaft, die eigenen Voraussetzungen und Überzeugungen zu reflektieren.
6. Gegenseitiger Respekt und Anerkennung
Es wird vorausgesetzt, dass alle Beteiligten einander als gleichberechtigte Gesprächspartner respektieren. Jede Person soll ihre Position frei äußern können, ohne Angst vor Abwertung oder Ausgrenzung. Dabei ist der minimale gemeinsame Nenner An Respekt, die gegenseitige Anerkennung der Menschenwürde und der universellen Menschenrechte.
Fehlt dieser grundlegende menschliche Respekt, wird die Diskussion asymmetrisch: Machtverhältnisse oder persönliche Abwertungen verzerren die Kommunikation und verhindern nach Habermas eine rationale, konsensfähige Verständigung. Nur wenn sich alle Teilnehmer als moralisch gleichwertig verstehen, kann das bessere Argument Wirkung entfalten.
Wichtig: Es müssen nur Positionen von dem vorab festgelegten Diskussionsraum zugelassen werden, der entweder festgelegte Teilnehmende oder das gesamte Publikum beinhaltet, welches immer frei zugänglich sein sollte und somit auch jeder dem Diskurs beitreten könnte. Keine der anderen Regeln darf bei Positionen gebrochen werden, gerade Regel 3. der Rationalität und Begründungspflicht sollte von Zuschauenden geachtet werden. Werden andere Regeln missachtet, kann die Person dem Diskurs disqualifiziert werden, diese sollte immer auf einen angemessenen, fairen Rahmen temporär begrenzt sein. (30 Minuten, die gesamte Debatte oder auch 1-2 Jahre)
7. Gegenseitiges Verstehen
Das zentrale Ziel des herrschaftsfreien Diskurses ist das gegenseitige Verstehen. Es wird vorausgesetzt, dass alle Beteiligten die Absicht haben, andere Positionen nachzuvollziehen und aus diesen Erkenntnisse zu gewinnen. Festzumachen ist das anhand eines gegenseitig freundlichen und offenen Auftretens, als auch das Angebrachte Argumente aufmerksam inhaltlich angegangen werden, statt durch Floskeln nur Gegenrede zu liefern.
8. Einvernehmen über Diskussionsregeln
Die Teilnehmer müssen sich auf gegebene gemeinsame Gesprächsregeln verständigen. Diese können auch ergänzt werden und können im Verlauf des Diskurses immer wieder ausgehandelt und anerkannt werden. Das kollektive Einverständnis ist vor allem relevant, um Verstöße zu erkennen und durch einen Diskussionsausschluss ahnden zu können.
9. Konsens als Ziel
Im Zentrum steht das Streben nach Konsens. Es geht nicht um erzwungene Einigkeit, sondern um eine durch rationale Argumente getragene Verständigung, bei der das Gemeinwohl im Fokus steht. Der Konsens ergibt sich aus der gemeinsamen Werte- und Zielorientierung der Beteiligten.
10. Reflexivität
Teilnehmer müssen bereit sein, ihre eigenen Positionen zu überdenken und bei überzeugender Argumentation auch ihre Meinung zu ändern. Reflexivität ist so eine Voraussetzung für jede echte Lern- und Dialogfähigkeit.
→ Es braucht einen Fokus und man darf nicht abgkommen vom Thema.
Fazit
Die Diskursregeln Habermas’ zielen darauf ab, einen gerechten, rationalen und demokratischen Dialog zu ermöglichen. Sie schaffen die Grundlage dafür, dass alle Individuen gleichberechtigt und ohne äußeren Druck zur Wahrheitsfindung und Konsensbildung beitragen können. In einer idealen Gesellschaft sollten diese Regeln als Normen öffentlichen Diskurses und kollektiver Entscheidungsprozesse etabliert sein.